Glossar: Solidarische Ökonomie - Anderes Wirtschaften hat viele Gesichter

von Elisabeth Voß

Es gibt nicht »die« solidarische Ökonomie, sondern eine Vielfalt anderen Wirtschaftens: selbstverwaltete Hausprojekte oder Kollektivbetriebe, Kommunen und Gemeinschaften, Netzwerke von Selbstständigen, solidarische Landwirtschaft, urbanes Gärtnern, Fair Trade etc. Immer mehr Menschen möchten ihr Leben sozial verantwortlich und ökologisch verträglich gestalten. Sie tun sich in kleinen oder größeren Betrieben und Projekten verschiedenster Ausrichtung und interner Organisationsform, mit unterschiedlicher finanzieller Ausstattung und Reichweite zusammen. Manche zielen mehr auf die Bedürfnisse der Beteiligten, andere auf gesellschaftliche Veränderung.

Mit diesem Glossar mehr oder weniger bekannter Begriffe, die in Diskussionen um anderes Wirtschaften verwendet werden, versuche ich, einen knappen Einblick zu geben. Dabei benenne ich auch einige kritische Aspekte. Die Auswahl ist subjektiv, und ich maße mir nicht an, alles zu definieren, sondern verstehe es eher als Versuch, zu beschreiben und Gedankenanregungen zu geben – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und im Bewusstsein, dass in der Kürze vieles offen bleibt, vielleicht verfälschend verkürzt scheint und ich mich auch irren kann. Ich hoffe, damit neugierig zu machen und einen Beitrag zum Verständnis einer gerechten, sozial und ökologisch verträglichen Wirtschaftsweise zu leisten.

» Alternativökonomie

Die vielfältige »Alternative Ökonomie« entstand in Westdeutschland aus sozialen Bewegungen nach 1968. Zentral für die ersten selbstverwalteten Betriebe und Projekte war die Ablehnung von Ausbeutung, Hierarchie und fremdbestimmter Arbeit. Zumindest in den Anfängen gab es keine Geschäftsführungen, weitgehende Rotation der Tätigkeiten und meist einen Einheitslohn. Die Produkte der Arbeit sollten der Gesellschaft nützen, die Umwelt nicht belasten und nicht auf der Ausbeutung anderer beruhen, vor allem in der sogenannten Dritten Welt. Einige dieser Unternehmungen bestehen bis heute, und es entstehen wieder neue.

» Bruttonationalglück

Das kleine Land Bhutan hat schon in den 1970er Jahren das Bruttonationalglück (Gross National Happiness) anstelle des Bruttosozialprodukts zum Staatsziel erhoben. Nach buddhistischen Vorstellungen wird die spirituelle Entwicklung durch ein Gleichgewicht von materiellen und immateriellen Zielstellungen gefördert. Der Glückszustand der Bevölkerung wird regelmäßig durch Befragungen erfasst. Das Bruttonationalglück gilt allerdings nur für die buddhistische Mehrheitsbevölkerung, nicht für die überwiegend hinduistische Minderheit im Land, die teils schon vor Jahrhunderten aus Nepal eingewandert war. Deren Angehörige wurden großteils vertrieben; die Verbliebenen werden rassistisch diskriminiert und leben in bitterer Armut (siehe auch »Glücksökonomie«).

» Buen Vivir

Der Begriff stammt aus Ecuador und Bolivien und knüpft an indigene Lebensweisen und religiöse Vorstellungen von einem »guten Zusammenleben« in Gemeinschaft und im Einklang mit Pachamama, der Mutter Natur, an. In beiden Ländern wurde Buen Vivir als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen. In Ecuador hat Pachamama eigene verfassungsmäßige Rechte, während in der Verfassung Boliviens auch die industrielle Nutzung natürlicher Ressourcen verankert ist. Buen Vivir stellt zerstörerische Wachstums- und Fortschrittskonzepte in Frage; zugleich beinhaltet es das Risiko der Romantisierung von indigener Armut, traditionellen Geschlechterrollen und lokalen Herrschaftsstrukturen.

» Care

Unter Care oder Sorgearbeit werden lebensnotwendige Tätigkeiten verstanden, die unmittelbar von Menschen für andere Menschen ausgeübt werden. Dazu gehört die Betreuung von Kindern, die Bildungsarbeit, die Versorgung mit Nahrung, die Pflege von kranken und alten Menschen oder die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen. Der Begriff unterscheidet nicht zwischen bezahlten und unbezahlten Arbeiten. Er wird vor allem in feministischen Diskussionen verwendet. Aus der Aktionskonferenz »Care Revolution« unter dem Motto »Her mit dem guten Leben – für alle weltweit!« im März 2014 in Berlin entstand ein gleichnamiges Bündnis (siehe auch »Feministische Ökonomie«).

» Charity

Diejenigen, die mehr haben als andere, geben aus Wohltätigkeit freiwillig anderen etwas ab. Viele Menschen weltweit könnten ohne Charity nicht überleben. Die Zunahme von Wohltätigkeit weist als Warnsignal auf wachsende gesellschaftliche Ungleichheit hin. Ein gesellschaftliches Verhältnis, in dem die einen geben und die anderen nehmen, tendiert dazu, die Unterschiede zwischen Stärkeren und Schwächeren eher zu verfestigen als auszugleichen. Oft wirkt Wohltätigkeit nur oberflächlich selbstlos, dient jedoch letztlich der Steuerersparnis oder wird selbst zum profitablen Geschäftsmodell. So wird zum Beispiel mitunter die »Vertafelung der Gesellschaft« kritisiert.

» Commons

Wenn Menschen gemeinschaftlich Ressourcen bewirtschaften – Land oder Gewässer, technische Anlagen oder Wissen – und wenn sie sich dafür Regeln geben, dann werden die Ressourcen zu Commons und die Menschen zu Commoners. So etwa beschrieb es die US-amerikanische Wissenschaftlerin und Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom (1933–2012), die über viele Jahre erforschte, wie es Gemeinschaften gelingt, diese Nutzung so zu organisieren, dass die Ressourcen vor Übernutzung und Zerstörung bewahrt werden und dauerhaft für ihre Mitglieder zur Verfügung stehen. Der Begriff »Commons« wird häufig mit »Gemeingüter« übersetzt, das Wichtigste ist jedoch der soziale Prozess (siehe auch »Gemeingüter«).

» Creative Commons

Eine gemeinnützige US-amerikanische Organisation mit weltweiten Ablegern entwickelt eine Vielfalt von Creative-Commons-Lizenzen. Diese ermöglichen denjenigen, die immaterielle Güter wie Texte, Bilder, Musik oder Baupläne geschaffen haben, sehr differenziert festzulegen, was diejenigen, die diese Werke nutzen möchten, damit tun dürfen – zum Beispiel weitergeben, verändern, verkaufen etc. Am häufigsten ist wohl die Erlaubnis zur nichtkommerziellen Nutzung unter Nennung des Namens des Urhebers oder der Urheberin. Die Creative-Commons-Lizenzen selbst haben auch eine kommerzielle Intention und wurden zur besseren Vermarktung geistigen Eigentums entwickelt.

» Degrowth

Der Begriff, oft mit »Postwachstum« übersetzt, meint Wachstumsrücknahme und knüpft an die Studie »Die Grenzen des Wachstums« des Club of Rome von 1972 an. Die aktuelle Degrowth- oder Decroissance-Bewegung kommt aus Frankreich. Sie möchte der zerstörerischen Ausbeutung natürlicher Ressourcen einen alternativen Gesellschaftsentwurf entgegensetzen, der auf lokalem Wirtschaften basiert. Die beiden großen Konferenzen in Deutschland zu diesem Thema – im Mai 2011 an der TU Berlin und im September 2014 an der Universität Leipzig – wurden von Interessierten geradezu überrannt.

» Ecommony

Der Begriff stammt von Friederike Habermann. Sie versteht darunter Ansätze einer Ökonomie auf der Basis von Commons, die nach den Prinzipien des Beitragens statt des Tauschens funktioniert, und die schon heute gelebt werden kann. Dabei hat sie insbesondere die Sorgearbeit im Blick.

» Ernährungssouveränität

Im Unterschied zur Ernährungssicherung, die bedeutet, dass alle Menschen genug zu essen haben sollen, meint Ernährungssouveränität, dass alle Menschen das Recht und die reale Möglichkeit haben sollen, über ihre Ernährung selbst zu entscheiden und für sie zu sorgen. Die internationale Vereinigung von Kleinbauern und -bäuerinnen sowie Landlosen, Via Campesina, fordert dies schon lange. 2008 empfahl der Weltagrarbericht Ernährungssouveränität als Strategie gegen den Hunger. Landgrabbing und die Zunahme der agroindustriellen Landwirtschaft verhindern dies jedoch.

» Feministische Ökonomie

Frauen befassen sich seit Jahrzehnten mit Alternativen zur patriarchalen Wirtschaft, die auf Macht und Herrschaft beruht. Die Bielefelder Subsistenzheorie der 1970er Jahre, entwickelt von Maria Mies und anderen, wollte an die Stelle der Produktion von Waren für den Markt die Selbstversorgung setzen. Im Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften diskutieren Wissenschaftlerinnen seit 1992 über eine Wirtschaft der Vorsorge und Kooperation, die ein gutes Leben für alle ermöglichen soll. Im November 2012 organisierte die Gender-AG von Attac in Berlin die Tagung »Schneewittchen rechnet ab« über eine »Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren« (siehe auch »Care«).

» Gemeingüter

Gemeingüter sind alle materiellen und immateriellen Grundlagen, die notwendig sind, um menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen. Das sind zum Beispiel natürliche Ressourcen, technische Infrastrukturen und Wissen. Damit alle Menschen dauerhaft an ihrer Nutzung teilhaben können, müssen Gemeingüter vergesellschaftet sein (siehe auch »Commons«und »Vergesellschaftung«).

» Gemeinwesenökonomie

Unter Gemeinwesenökonomie wird eine Wirtschaft »von unten« verstanden, die lokale Bedarfe auf der Basis solidarischer Netzwerke erfüllt. Der Begriff kommt aus der kritischen Sozialarbeit, die Menschen zur Selbstorganisation befähigen möchte, und gleichzeitig auf eine Kritik und Veränderung entmündigender gesellschaftlicher Verhältnisse abzielt (siehe auch »Lokale Ökonomie«).

» Gemeinwirtschaft

Die Gemeinwirtschaft hatte ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung, ebenso wie Teile der Genossenschaftsbewegung. Ziel war eine gute Versorgung breiter Bevölkerungsteile. Im engeren Sinne wird darunter die gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft verstanden, deren größte Unternehmen die Neue Heimat und die BfG (Bank für Gemeinwirtschaft) waren. Die Neue Heimat scheiterte bereits Ende der 1980er Jahre, die BfG wurde im Jahr 2000 an die schwedische SEB verkauft. Jedoch ist die sozialreformerische Idee der Gemeinwirtschaft weiterhin aktuell.

» Gemeinwohlökonomie

Es gibt viele Ansätze für eine Wirtschaft, die dem Gemeinsamen statt privaten Profitinteressen dient. Aktuell wird unter Gemeinwohlökonomie meist der Ansatz von Christian Felber verstanden, bei dem Unternehmen sich über ihre Praxis austauschen und Gemeinwohlbilanzen erstellen. Diese sollen abbilden, wie weit es gelingt, die unternehmerische Tätigkeit nicht nur nach ökonomischen, sondern auch nach ökologischen, sozialen und demokratischen Zielen auszurichten.

» Genossenschaften

Genossenschaften sind Unternehmen im Eigentum ihrer Mitglieder, nicht irgendwelcher Investoren. Sie wirtschaften für ihre Mitglieder entweder zur Selbstversorgung oder indem die Mitglieder gemeinsam am Markt handeln und durch die gemeinsame Größe Vorteile haben, die einzelne nicht hätten. Die Mitglieder beteiligen sich mit einer Einlage an ihrer Genossenschaft, die nicht am Kapitalmarkt handelbar ist. Unabhängig von der Höhe der finanziellen Beteiligung hat in der Regel jedes Mitglied eine Stimme. Der Genossenschaftsgedanke der gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Selbsthilfe wird oft auch in anderen Rechtsformen umgesetzt, obwohl die Genossenschaft sich am besten für solidarisches Wirtschaften eignet.

» Glücksökonomie

Spätestens seit Richard Wilkinson vor einigen Jahren herausfand, dass gesellschaftliche Ungleichheit negative psychische Folgen für alle Beteiligten hat und dass umgekehrt mehr Gleichheit zu mehr Glück führt, wird zunehmend diskutiert, wie eine solche Glücksökonomie funktionieren könnte. In diesem Zusammenhang wird oft, mitunter recht unkritisch, auf das Bruttonationalglück in Bhutan Bezug genommen (siehe auch »Bruttonationalglück«).

» Heterodoxe Ökonomie

Siehe »Plurale Ökonomik«.

» Kritischer Konsum

Wer kritisch konsumiert, möchte qualitativ bessere, gesündere Produkte kaufen, und gleichzeitig mit der Macht der Nachfrage am Markt die Arbeitsbedingungen in den Herkunftsländern der Waren sowie die sozialen und ökologischen Auswirkungen dort beeinflussen. Jedoch ändert der anonyme Konsum, bei dem sich die Akteure entfremdet entgegen treten, nichts an den grundsätzlich zerstörerischen Wirkungen einer gewinnorientierten Marktwirtschaft. Die Welt lässt sich nicht schönkaufen. Trotzdem ist es nicht egal, was konsumiert wird. Entscheidend ist jedoch der solidarische Austausch zwischen Menschen, die einander kennen und ihre Austauschverhältnisse auf Basis ihrer sozialen Beziehungen miteinander regeln.

» Lokale Ökonomie

In Großbritannien war lokale Ökonomie seit Beginn der 1980er Jahre ein Gegenentwurf zum von der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher beharrlich propagierten, vermeintlich alternativlosen Marktfundamentalismus. Eine lokale Ökonomie deckt lokale Bedarfe mit lokaler Arbeit und weitgehend lokalen Ressourcen ab. Jedoch ist jede Wirtschaft heute auch in die globale Ökonomie eingebunden. Das Lokale ist nicht immer besser, es kommt auf weitere soziale und ökologische Kriterien an. Die räumliche Nähe erleichtert jedoch Einblicke, soziale Beziehungen und Vertrauen(siehe auch »Gemeinwesenökonomie«).

» Nachhaltiges Wirtschaften

Nachhaltiges Wirtschaften geht auf den 1987 veröffentlichten Bericht der von der UNO initiierten internationalen Brundtland-Kommission zurück. Mit der Verabschiedung der Agenda 21 auf der Klimakonferenz in Rio de Janeiro 1992 wurde es offizielles Politikziel. Nachhaltiges Wirtschaften soll die Bedürfnisse der Menschheit heute befriedigen und dafür sorgen, dass dies auch für zukünftige Generationen möglich ist. Der Begriff ist sehr vage und wird oft als inhaltsleere Floskel verwendet.

» Nichtkommerzielles Wirtschaften

Siehe »Umsonstökonomie«.

» Ökosozialismus

Die Initiative Ökosozialismus um Saral Sarkar und Bruno Kern setzt sich für eine demokratische Planwirtschaft mit radikaler Senkung des Energie- und Rohstoffverbrauchs ein. Diese soll weltweit ein menschenwürdiges Leben für alle sicherstellen.

» Open Source

Der Begriff kommt aus der Welt des Programmierens und bedeutet, dass der Quellcode von Computerprogrammen offen ist. Interessierte können ihn nutzen und weiterentwickeln – meist in großen Communitys. Das Open-Source-Prinzip wird heute auch in anderen Bereichen angewendet, zum Beispiel bei technischen Zeichnungen. Mitunter gilt Open Source als Vorbote einer neuen Ökonomie jenseits des Kapitalismus. Jedoch werden Open-Source-Produkte auch kommerziell eingesetzt. Der Begriff »Freie Software« meint Ähnliches (siehe auch »Peer Economy«).

» Parecon

Unter Parecon (Participatory Economics) wird ein antikapitalistischer, radikaler Selbstverwaltungsansatz verstanden. Wesentliche Bestandteile sind Rätedemokratie, eine strikte Rotation der Arbeitsbereiche sowie eine differenzierte Entlohnung, je nach Anstrengungsgrad der Arbeit.

» Peer Economy

Diese Ökonomie »unter Gleichen« basiert vor allem auf dem freien Austausch von Wissen jenseits des Markts. Beispiel ist die Freie Software. Yochai Benkler prägte den Begriff der »Commons Based Peer Production«. Christian Siefkes befasst sich mit der Frage, wie eine solche Ökonomie auch über den Bereich des Wissens hinaus in der materiellen Welt funktionieren kann und welche sozialen Aushandlungsprozesse dafür notwendig wären (siehe auch »Open Source«).

» People’s Economy

Eine Wirtschaft »von unten«, von Menschen, die oft vom Markt abgeschnitten sind und daher keine andere Wahl haben, als sich selbst zu versorgen. Dies gelingt in der Regel nur gemeinschaftlich und oft in informellen Strukturen.

» Plurale Ökonomik

Das »Netzwerk Plurale Ökonomik« entstand aus einer Initiative von Studierenden in Frankreich als eine Art intellektuelle Selbsthilfegruppe gegen einseitig kapitalismusfixierte Studieninhalte. In Deutschland ist Helge Peukert einer der bekanntesten Vertreter der pluralen Ökonomik, die auch unter dem Begriff »Real World Economics« auftritt. In diesem Zusammenhang ist auch häufig von »heterodoxer Ökonomie« die Rede, womit theoretische Ansätze jenseits des Mainstreams gemeint sind.

» Postwachstumskökonomie

Siehe »Degrowth«.

» Prosumer Economy

Wenn die Grenze zwischen Produzieren und Konsumieren immer mehr aufgehoben wird, ist oft von einer »Prosumer Economy« die Rede. Während kollektiv Prosumierende eigene Gestaltungsmöglichkeiten entfalten, wird der Trend zum Selbermachen längst von Konzernen genutzt. Im Selbstbau (IKEA-Prinzip) oder in Zuarbeiten bei digitalen Einkäufen und Buchungen zeichnen sich neue Ausbeutungsstrukturen ab.

» Real World Economics

Siehe »Plurale Ökonomik«.

» Regionalwirtschaft

Regional ist ein unklarer Begriff, der gerne im Marketing eingesetzt wird. Seit 2014 gibt es die zertifizierte Marke »Regionalfenster«, die die Herkunft von Produkten transparent machen soll. Vor allem in Süddeutschland vernetzen sich Unternehmen, Umweltorganisationen und Kirchen in der Regionalbewegung zur Förderung bäuerlicher Landwirtschaft und kleiner mittelständischer Handwerksbetriebe. Regionalität ist ein notwendiges, aber kein ausreichendes Kriterium für nachhaltiges Wirtschaften.

» Resiliente Regionen

Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Individuen oder Gemeinschaften verstanden, auch schwierigste Bedingungen gut oder gar gestärkt überstehen zu können. Vor allem die Transition-Town-Bewegung möchte resiliente Regionen entwickeln. Dies kann als Zuwachs an autonomer Lebensgestaltung, aber auch als entpolitisierende Vorbereitung auf erwartbare Katastrophen verstanden werden. Resilienz möchte vorhandene Stärken entwickeln, kann jedoch auch dem Trend zur unkritischen Selbstoptimierung folgen (siehe auch »Transition Town«).

» Ressourcenbasierte Ökonomie

Der Begriff »ressourcenbasierte Ökonomie« stammt von der Zeitgeist-Bewegung. Was auf den ersten Blick wie die reizvolle Utopie einer solidarischen Welt ohne Geld wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als totalitäre Technofantasie. Weil Menschen Fehler machen können, sollen Entscheidungen auf wissenschaftlicher Grundlage an Computer übertragen werden. Das ist das Gegenteil einer genossenschaftlichen Wirtschaftsweise, die auf Commons und sozialen Beziehungen basiert.

» Schenkökonomie

Siehe Umsonstökonomie.

» Shareconomy

Dass Menschen solidarisch miteinander teilen, ist nichts Neues. »Nutzen statt besitzen« ist das programmatische Credo der aktuellen Shareconomy. Dies schone die Umwelt und mache glücklich. Die gemeinschaftliche Nutzung von Werkzeugen, Büchern oder Kleidung wird meist digital organisiert und auch als KoKonsum bezeichnet. Mit Geschäftsmodellen wie Zimmervermittlung oder privatem Auto-Teilen werden jedoch immer mehr Alltagsbereiche kommerzialisiert. Die Betreiber der Onlineplattformen und ihre Investoren verdienen an Vermittlungsgebühren und am Datenhandel.

» Social Business

Im Social Business möchten Sozialunternehmer und -unternehmerinnen (Social Entrepreneurs) gesellschaftliche Probleme mit wirtschaftlichen Mitteln lösen. Sie berufen sich auf den Nobelpreisträger Muhammad Yunus, der mit der Grameen Bank in Bangladesh und Indien Mikrokredite für Frauen entwickelte. Diese nützten jedoch meist nur den Kreditvermittlern, die Frauen landeten in Verschuldungsspiralen. Auf dem »Vision Summit« in Berlin oder Potsdam treffen sich jedes Jahr Social Entrepreneurs mit globalen Eliten aus Stiftungen, Unternehmensberatungen und Konzernen.

» Solidarische Ökonomie

Im engeren Sinn wird unter solidarischer Ökonomie gemeinschaftliche wirtschaftliche Selbsthilfe verstanden. Sie basiert wesentlich auf sozialen Beziehungen und Selbstorganisation. Ihr Ziel ist die Erfüllung von Bedürfnissen, nicht die Gewinnmaximierung. Da Solidarität auf Gegenseitigkeit beruht, ist die Frage wichtig, wer mit wem solidarisch ist, wessen Interessen verfolgt werden und wer ausgeschlossen ist. Im weiteren Sinn kann solidarische Ökonomie als Forderung verstanden werden, dass die gesamte Wirtschaft weltweit nicht der Profiterzielung, sondern menschlichen Bedürfnissen dienen solle.

» Sorgearbeit

Siehe »Care«.

» Soziale Ökonomie

Unter sozialer Ökonomie oder Sozialwirtschaft werden soziale Unternehmen wie Genossenschaften, Vereine und Stiftungen ohne Gewinnerzielungsabsicht verstanden. Der Begriff »sozial« ist nicht mit »Charity« gleichzusetzen, sondern meint »gesellschaftlich«. Auch das Begriffspaar »soziale solidarische Ökonomie« kommt vor.

» Transition Town

In der Transition-Town-Bewegung streben lokale Initiativen ein funktionierendes Gemeinwesen in Zeiten von Peak Oil und Klimawandel an. Sie möchten die Energiewende kreativ und gemeinschaftlich voranbringen und Widerstandsfähigkeit für zukünftige Herausforderungen entwickeln (siehe auch »Resiliente Regionen«).

» Umsonstökonomie

Das Geben und Nehmen ohne Verrechnung ist eine radikale Alternative zur herkömmlichen Wirtschaft, die auf dem Äquivalenztauschprinzip basiert. Auch der Begriff »Schenkökonomie« wird hier verwendet. Dabei kommt es darauf an, dass die Beteiligten nicht nach Belieben handeln, sondern Verabredungen treffen. Diese Regeln schützen davor, dass die Freiheit des Nehmens ausgenutzt wird. So begrenzen zum Beispiel Umsonstläden die Anzahl der Dinge, die eine Person mitnehmen darf.

» Vergesellschaftung

Vergesellschaftung betrifft öffentliche Güter und Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, wie Wasser und Abwasser, Energie, Verkehr, Gesundheit etc., die oft privatisiert werden. Sie setzt öffentliches – staatliches oder kommunales – Eigentum voraus, geht jedoch weiter. Zum einen dienen vergesellschaftete Unternehmen der Allgemeinheit, zum anderen werden sie demokratisch ausgestaltet, so dass die Bürgerinnen und Bürger real Einfluss nehmen können darauf, wie das Lebensnotwendige bewirtschaftet wird (siehe auch »Gemeingüter«).

Anders wirtschaften – aber wie?

Ideen und Praxen anderen Wirtschaftens werfen viele Fragen auf, zum Beispiel die nach dem Verhältnis von Gemeinschaft und Gesellschaft. Nicht jede Gemeinschaft handelt sozial verantwortlich oder gar emanzipatorisch. So strebt selbst die NPD mittlerweile eine solidarische Wirtschaftsordnung an. Ihr rassistisches Konzept einer »raumorientierten Volkswirtschaft« zielt auf »nationale Solidarität«. Zunehmend entstehen ökologisch wirtschaftende, völkische Landwirtschaftsbetriebe und Siedlungen.

Es lohnt sich, genau hinzuschauen. Misstrauen ist zum Beispiel angebracht, wenn undifferenziert von einem »Wir« die Rede ist. Wer von solidarischer Ökonomie spricht, darf von den Opfern nichtsolidarischen Wirtschaftens nicht schweigen. Solange Menschen in abgehängten Weltregionen verhungern, im Krieg umgebracht werden oder auf der Flucht im Meer ertrinken, gehört zu den guten Nachrichten des Gelingens solidarischer Alternativen das Bewusstsein für das Elend der Welt und eine globalsolidarische Perspektive.

Erfolgreiche Alternativen sind der Gefahr ausgesetzt, einer profitablen Verwertung am Markt anheimzufallen. Um zu bestehen und sich zu erweitern, brauchen sie zum einen Menschen, denen es gelingt, gut zusammenzuarbeiten, und zum anderen Ressourcen – Land und Gebäude, Rohstoffe, Maschinen und Geräte, Wissen etc. – all das, was sich globale Konzerne und Investoren immer mehr aneignen. Daraus ergibt sich als Herausforderung die Frage »Wem gehört die Welt?«, die nicht nur theoretisch, sondern vor allem in sozialen Kämpfen weltweit gestellt wird.

Quellenhinweis:

Das »Glossar: Solidarische Ökonomie« erschien im September 2015 in der Zeitschrift Oya: http://www.oya-online.de/article/read/2035-.html. Die Autorin Elisabeth Voß bearbeitete es geringfügig und ergänzte es im August 2016 für bne-brandenburg.de um Links zu den Glossar-Einträgen.

Urheberrechtshinweis: Die Autorin stellt das Werk unter die Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-SA (Namensnennung – nicht kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen, falls es verändert wurde): https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/

Zur Autorin:

Elisabeth Voß beschäftigt sich als Publizistin und Betriebswirtin mit Ideen und Praxen alternativer, genossenschaftlicher, sozialer und solidarischer Wirtschaftsweisen. 2015 hat sie den „Wegweiser Solidarische Ökonomie - ¡Anders Wirtschaften ist möglich!“ in einer 2. aktualisierten und wesentlich erweiterten Auflage verfasst. Sie kann sich für die vielen Keimformen anderen Wirtschaftens begeistern und schätzt gleichzeitig eine kritische Perspektive, gerade bei der Beschäftigung mit den Themen und Projekten, die ihr besonders am Herzen liegen. www.elisabeth-voss.de